Von Rosenöl und Amphitheater

Reise durch den Kern Bulgariens

Wer bei großen Reiseveranstaltern nach Urlaub in Bulgarien sucht, findet ein riesiges Angebot von Strandurlaub am Schwarzen Meer. Und auch bei Gesprächen im Freundes- und Bekanntenkreis wird von den tollen Stränden, dem noch im späten Herbst warmen Temperaturen und den noch immer günstigen Preisen zu hören bekommen. Auch VIA-Journal hatte im Frühjahr 2024 über diese Urlaubsregion berichtet: ( VIA Frühjahr 2024 )

Die damalige Reise hat mich neugierig gemacht auf das Landesinnere. Dabei habe ich diesmal Wert auf Geschichte und Kultur des Landes gelegt. Gemeinsam mit fünf Kolleginnen und Kollegen und begleitet von Tihomir Patarinski, dem Leiter der Tourismus-Abteilung der Bulgarischen Botschaft in Berlin machte ich mich im Oktober 2024 auf den Weg. Die Zielorte waren die Hauptstadt Sofia, die ehemalige Hauptstadt Veliko Tarnovo, die Rosenstadt Kazanlak,  die alte Stadt Stara Zagora, deren Name in der Geschichte häufig gewechselt hatte, die aber in der osmanischen Zeit berühmt für ihre Seiden-, Leder- und kupferverarbeitende Industrie war und zum Abschluss  Bulgariens zweitgrößte Stadt Plovdiv, 2019 eine der Kulturhauptstädte Europas.

Gleich zu Anfang eine Bemerkung. Es ist schwer, sich zu entscheiden, ob man Bulgarien besucht, um erholsamen Urlaub zu machen, oder um die vielen Kulturstätten zu erkunden. Beides geht hervorragend zusammen. Allerdings sollte man sich dann die nötige Zeit nehmen. Denn viele Orte und Regionen sind nicht an einem Tag zu erkunden.

Wir starteten in der Hauptstadt Sofia. Das ist sinnvoll, zum einen wegen der günstigen Flugmöglichkeiten dorthin. Mit der Bahn ist es etwas schwieriger, mit mehreren Umsteigepunkten. Aber selbst mit dem Fernbus kommt man in der Regel mit einmal umsteigen von Deutschlands Großstädten ans Ziel. Zum anderen ist die Einstimmung in das Land, die Kultur, hier ideal möglich. Wir wollen hier unsere Reisestationen ein wenig vorstellen.

Die Alexander-Newski-Kathedrale ist eines der Wahrzeichen der bulgarischen Hauptstadt Sofia.

Der Spruch im Wappen der Hauptstadt Sofia lautet: „Sie wächst, aber sie altert nicht“. Und tatsächlich trifft dies für diese Stadt zu. Tatsächlich ist die Stadt seit der Jungsteinzeit kontinuierlich besiedelt und damit eine der ältesten Siedlungen und Städte Europas. Archäologische Funde deuten darauf hin, dass sich hier sogar schon vor etwa 8000 Jahren eine steinzeitliche Siedlung befand. Gleichzeitig befindet man sich hier in einer hochmodernen Großstadt.

Im ehemaligen Sitz der Kommunistischen Partei Bulgariens im Zemtrum Sofias befindet sich heute das Parlament des Landes,

Im Laufe des 7. Jahrhunderts vor unserer Zeitrechnung entstand eine Siedlung im Gebiet des heutigen Stadtzentrums. Hier lebten, wie in der Gesamten Region zwischen den nördlichen Karpaten und dem ägäischen Meer, von Serbien bis zum Schwarzen Meer die Thraker. Sie wurden schon in der Ilias des Homer erwähnt und Herodot schrieb, sie seien das größte Volk nach den Indern.

In der Nähe des ehemaligen Zarenpalasts in Sofia (heute Nationale Kunstgalerie) entstand 1906 nach dem Entwurf der Wiener Architekten Hermann Helmer und Ferdinand Fellner der Jüngere das heutige Nationaltheater, benannt nach dem bulgarischen Historiker, Dichter, Schriftsteller und Politiker Iwan Wasow.

Im Historischen Nationalmuseum wie im Archäologischen Nationalmuseum kann man noch Goldschätze aus der Thraker-Zeit, die man bis zum 6. Jhdt. nach Christus verortet, bestaunen.

Aber auch aus der folgenden Zeit der wechselvollen Geschichte der Region, unter Mazedonischer, Römischer, Osmanischer Herrschaft. Aber auch die Hunnen und die Goten kamen in die Stadt und verwüsteten sie.

Alte Spuren werden deutlich präsentiert. Bei den Bauarbeiten für die U-Bahn wurden 2010 im Stadtzentrum nahe dem Unabhängigkeitsplatz (In der Antike Fest- und Versammlungsplatz nach Griechischem Muster) u.a. das Gebäude einer mittelalterlichen Kirche samt Fresken aus dem 12. Jhdt. sowie antike Gebäude aus dem 2. Jhdt. sichergestellt. Heute kann man die Spuren aus der Alten Zeit direkt an der zentralen Metro-Station besichtigen.

Im Innern der Alexander-Newski-Kathedrale, der Patriarchalkathedrale der Bulgarisch-Orthodoxen Kirche

Eine cremeweiße Fassade, bestückt mit hellgrünen und goldfarbenen Kuppeln, das sind die Farben des Wahrzeichens der Stadt, der Alexander-Newski-Kathedrale. Erbaut zwischen 1904 und 1912. Die fünf Kirchenschiffe sind mit Gold und Marmor verziert und mit imposanten Mosiakkunstwerken ausgestattet. Es ist die größte Orthodoxe Kirche der Balkan-Halbinsel. Sie wurde zur Erinnerung an Zar Alexander II. und an die russischen Soldaten, die bei der Befreiung Bulgariens von der osmanischen Herrschaft im Russisch-Osmanischen Krieg von 1877–78 starben, errichtet.

Von der aktuellen Hauptstadt in die frühere Hauptstadt Bulgariens. Im 13. und 14. Jahrhundert war Weliko Tarnowo das Zentrum Bulgariens. Die Stadt an den steilen Nordhängen des Balkangebirges wo sich der Fluss Jantra eine tiefe in Schlingen verlaufende Schlucht durch das Gestein herausgearbeitet hat, liegt an drei befestigten Hügeln. Zarewez (der Berg der Zaren), Trapesiza (nach Zarewez die zweitwichtigste Burg des zweiten Bulgarischen Reiches und das geistige Zentrum des Landes) und Momina Krepost (Frauenfestung).

Blick auf die Altstadt von Veliko Tarnowo

Heute wird die Stadt von Tausenden von Touristen aus Bulgarien und dem Ausland besucht, angezogen von seiner malerischen Lage – den amphitheatralisch auf den Felsen über dem Fluss Yantra thronenden Häusern, geschmückt von den umliegenden Hügeln. Viele Sehenswürdigkeiten sind Orte für Kulturtourismus – Samovodska Charshia – die Handwerkerstraße, die Straße „Gurko“, das Haus des Saraf (türkisch für „Wechsler“), das Haus mit dem Affen – ein Beispiel der Architektur aus der Zeit der Wiedergeburt.

Tatsächlich verfügt die mit rund 60.000 Einwohnern nicht allzugroße Stadt über eine Vielzahl von Kulturstätten. Darunter viele Kirchen, etliche Klosteranlagen, sowie die Festungsanlage und der ehemalige Zarenpalast.

Eine Besonderheit ist die audiovisuelle Show die das ganze Jahr über an unterschiedlichen Terminen die alten Paläste erleuchten lässt und dabei die Geschichte des Landes präsentiert. Einen Eindruck davon können Sie auf dem kurzen Infovideo im Internet unter https://gleft.de/5TG bekommen. An Feiertagen ist die Show meist kostenlos. Dann wird der Sound auf dem großen Platz vor der Festung übertragen. Für kostenpflichtige Termine gibt es einen eigens dafür errichteten Saal mit Panoramafenstern und Klimaanlage (Eintritt ca 15 Euro). Doch ohne Sound ist die Show auch an diesen Tagen gratis zu sehen.

Nur vier Kilometer entfernt von Weliko Tarnovo liegt das kleine Dorf Arbanassi das zum Weltkulturerbe gehört. Enge Straßen biegen sich den Berg hoch. Zaren und kommunistische Herrscher nutzten den beschaulichen Ort zu Füßen des Zentralbalkans früher als Sommerresidenz. Auch Todor Schiwkow, von 1954 bis 1990 Chef der Bulgarischen Kommunistischen Partei, hatte hier einen Palast. Im 16. und 17. Jahrhundert entstanden hier über 90 Kirchen und Klöster. Eines der ältesten Gotteshäuser ist die Kirche „Christi Geburt“. Unscheinbar wie eine alte Scheune mutet sie von außen an. Ein lang gestrecktes, flaches Gebäude ohne Fenster. Ein kleiner Garten drum herum. Aber sobald man die Kirche betritt, wird man von den über 3500 biblischen Abbildungen hingerissen, welche die Wände schmücken.

Die älteste Kirche in Arbanassi bei Veliko Tarnowo ist die Christi-Geburt-Kirche aus dem Ende des 16. Jahrhunderts. Sie ist berühmt für ihre Bemalung und die Ikonostase.

Das reiche Kulturangebot der Region ist auch der Hintergrund für die jährlich in Weliko Tarnovo stattfindende Kultur-Tourismus-Messe. Unsere kleine Reisegruppe hatte nicht nur Gelegenheit, dort das breite Angebot an kulturell interessanten Reisezielen im Land zu erkunden sondern auch den Minister für Tourismus zu sprechen.

Nicht weit von Weliko Tarnovo entfernt liegt  am Rande der Kleinstadt Gabrowo das einzige Freilichtmuseum Bulgariens, das nach dem früheren Namen des Flusses Jantra, „Etar“ benannt ist.

Die Geschäfts- und Handwerkerstraße im Freilichtmuseum Etar.
Handwerker im Freilichtmuseum Etar.

Auf einem Gelände von sieben Hektar reihen sich rund 50 Objekte in dem schmalen Flusstal. Neben Bauern- und Handwerkerhäusern sind dies Nebengebäude, Brunnen, Brücken, Backöfen, eine Kirche mit Schule, ein Uhrenturm und eine Mosaikwand, vorwiegend aus der Zeit des 18. und 19 Jahrhunderts. Eine Besonderheit des Museums ist die in Bulgarien einmalige Sammlung von verschiedenartigen wassergetriebenen technischen Anlagen, die insgesamt 10 voll funktionstüchtige Objekte umfasst. Darunter befinden sich eine Getreide- und eine Walkmühle, eine Sägemühle, eine Besatzweberei sowie Drechselwerkstätten zur Produktion von Holzschüsseln und Holzweinflaschen. Alle Anlagen sind funktionstüchtig und werden dank eines zweistufigen Kanalsystems auch in Betrieb genommen. In einigen Gebäuden sind sind eine Reihe Werkstätten für die Handwerker eingerichtet, in denen 20 traditionelle Handwerkskünste gezeigt werden.

Nahe dem geografischen Mittelpunkt Bulgariens, gleich nach dem Durchqueren des Balkan-Gebirges findet man sich im sogenannten Rosental bei Kasanlak. Heute ein größerer Industriestandort (Musikinstrumente aber auch Waffenproduktion) ist die Stadt bekannt durch ihre Rosenölprodukte. Im windgeschützten Tal zwischen den beiden in Ost-West-Richtung verlaufenden Gebirgszügen werden seit Jahrhunderten Damaszener-Rosen  angebaut, hauptsächlich die Sorte Trigintipetala, synonym Kazanlak, die als „Bulgarische Ölrose“ bereits 1689 erwähnt wurde.

Aus den Blütenblättern dieser Rose wird mittels Destillation Rosenöl gewonnen, eines der teuersten ätherischen Öle. Seit 1750 ist die Region die bedeutendste Anbauregion zur Gewinnung von Rosenöl. Bulgarien ist der größte Erzeuger von Rosenöl auf der Welt, es liefert 70 % der Weltproduktion.

1 Kg Rosenöl wird aus 3000 Kg Rosenblüten gewonnen, und für 1 Gramm benötigt man 1000 Rosenblüten. Der Preis auf dem Weltmarkt liegt bei ca. 4000 Euro für 1 Kilogramm Rosenöl.

Für nur einen Liter Rosenöl sind rund vier Tonnen der Blätter nötig. Im Juni wird die Rosenblüte mit Festen und viel Folklore gefeiert. Aber vor dem Feiern kommt die mühevolle Arbeit. Morgens um 4 Uhr beginnen die Pflückerinnen mit der meist gering bezahlten Arbeit. denn bei steigender Temperatur verringert sich der Gehalt an ätherischem Öl in der Rosenblüte. Zunächst werden unmittelbar nach der Ernte die Blüten mit der vierfachen Wassermenge in große Kessel gefüllt. Nach zwanzig Minuten Aufheizen steigt der Dampf auf und bindet die duftenden Inhaltsstoffe. In einer Kühlanlage kondensiert er und setzt sich am Boden ab. Das erste Destillat wird abgeschöpft („grünes Öl“) und es folgen zwei bis drei weitere Destillierdurchgänge. Der Prozess dauert etwa zwei Stunden. Das Öl wird im Anschluss dekantiert und filtriert. Das übrig bleibende Rosenwasser wird für Kosmetika aufbereitet. Während heute vielfach künstliche Aromen in Kosmetika verwendet werden, zählen hochwertige Parfüm Marken, wie „Chanel N°5“ auf bulgarisches Rosenöl.

Historische Destilieranlage im Garten des Rosenmuseums von Kazanlak.

Wer vor Ort mehr über Rosenzucht oder die Herstellung von Rosenöl erfahren möchte, der findet im Rosenmuseum eine interessante Ausstellung und fachkundige Führung. Hier erfährt man auch, dass die Ölrose vermutlich ursprünglich aus Süd-China stammt und von den osmanischen Türken nach Bulgarien gebracht wurde. In dem Geschäft, das zum Museum der Rose gehört, kann man neben Informationsmaterialien natürlich auch Kosmetik, Rosenmarmelade, Rosenlikör, Aromaöle u. a. erwerben.

Im April 1944 wurde bei Kasanlak von Soldaten beim Ausgraben von Schützengräben eine antike Grabstätte entdeckt. Es befindet sich nahe der antiken thrakischen Hauptstadt Seuthopolis. Das Thrakergrab von Kasanlak geht auf das 4. Jahrhundert v. Chr. zurück und ist das am besten erhaltene Kunstwerk aus der Zeit der Thraker in Bulgarien. Sowohl die Grabkammer als auch der Vorraum sind mit Wandgemälden verziert, die unter anderem ein thrakisches Paar auf einem Beerdigungsfest darstellen. Das Original des Grabs, heute UNESCO-Weltkulturerbe, darf nicht betreten werden, weshalb für Touristen und Besucher eine 1:1-Kopie errichtet wurde.

Das Deckengemälde im Trakischen Grab von Kasanlak.

Die letzte Station unserer Kulturreise durch Bulgarien führte uns nach Plovdiv, der zweitgrößten Stadt des Landes. Die Stadt war 2019 Kulturhauptstadt Europas. Für diese Stadt sollte man sich tatsächlich etwas mehr Zeit nehmen. Denn es gibt vieles überraschende zu entdecken. So vor allem die Überreste aus römischer Zeit. Die Stadt war 72 vor unserer Zeitrechnung von den Römern erobert und in die Provinz Macedonia eingegliedert worden.

Das römische Amphitheater in Plovdiv
Das antike Theater in Plovdiv

Das antike Theater ist einer der beeindruckendsten Bauten aus römischer Zeit. Das zufällig bei Bauarbeiten entdeckte Theater wurde zehn Jahre lang freigelegt. Dabei musste eine 15 Meter dicke Erdschicht entfernt werden. Die 7.000 Zuschauerplätze sind auf zwei Ränge mit jeweils 14 Reihen verteilt. Auf die Bänke eines jeden Sitzplatzbereiches wurden seinerzeit die Namen der Stadtteile geritzt, so dass jeder Besucher entsprechend seinem jeweiligen Wohnsitz Platz nehmen konnte.

Inmitten von Plovdovs Fußgängerzone der Eingang zum ehemaligen rämischen Stadion.

Das seinerzeitige Römische Stadion hatte Hufeisenform in einer Länge von 180m und fasste 30.000 Zuschauer. Die hier ausgetragenen Spiele fanden alle vier Jahre nach dem Modell der griechischen Olympischen Spiele statt und dauerten mehrere Tage. Die wichtigsten Sportarten waren  Diskus- und Speerwurf, Laufen, Weitsprung und Ringkampf.  Heute liegt das Stadion unter einer Haupteinkaufsstraße der Stadt. Teilweise wurden die Ruinen des Stadions freigelegt und sind von der Fußgängerzone aus einsehbar. In einem Fall geht man beispielsweise in ein Geschäft einer internationalen Textilkette und dort, zwischen der ausgestellten Bekleidung, eine Etage nach unten in die Stadionruine. Die nicht mehr erhaltenen Teile sind durch eine 3D-Animation zu sehen.

Im Kneipenviertel von Bulgariens ältester Stadt, Plovdiv.

Neben sehenswerten Gebäuden in der Altstadt aus dem 19. Jahrhundert hat die Stadt auch zahlreiche wertvolle Sakralbauten. Hierzu zählen nicht nur die orthodoxe Sweta-Marina-Kirche mit Wandmalereien und Goldornamenten oder die orthodoxe Sweti-Konstantin-i-Elena-Kirche mit wertvollen Ikonen, sondern auch verschiedene islamische Gotteshäuser wie die Alte Moschee mit byzantinischem Mauerwerk, die Taschkjoprju-Moschee oder die Dschumaja-Moschee aus dem 15. bis 17. Jahrhundert. Die heute noch genutzte Synagoge wurde 1886/87 erbaut.

Interessant auch die Museen der Stadt, darunter im Archäologischen Museum der Goldschatz, ein antikes Trinkservice von neun Gefäßen aus purem Gold mit einem Gewicht von über 6 Kilogram. Aber auch die Oper und die Philharmonie.

Wir danken der Botschaft Bulgariens in Berlin für die Unterstützung bei der Recherchereise.

Die deutsche Journalistengruppe in Bulgarien mit Botschaftsrat Tihomir Patarinskim Leiter der Abteilung Tourismus in der Bulgarischen Botschaft in Berlin (rechts) und Tourismusminister Evtim Miloshev (2.v.links). anlässlich der Kultur-Tourismus Messe in Veliko Tarnovo. (VIA-Journal-Redakteur Karl Forster ganz links)